Short Story – Ein verschneiter Tag

Schon lange hat es nicht mehr so heftig geschneit. Eigentlich wollte ich in der Stadt nur kurz einkaufen. Jetzt stehe ich vor einem Buchladen, der glücklicherweise schon geöffnet hat. Die Straßenlaternen spenden nur spärliches Licht und kämpfen darum, nicht komplett unter dem Schnee zu verdunkeln.

Es ist eigentlich noch früh am Morgen. Früh, für meine Verhältnisse.

Vor lauter Schneefall kann man kaum die Hand vor den Augen erkennen und die dunklen Wolken am Himmel verdunklen die Stadt. Es hat etwas magisches durch die verschneiten Straßen zu stampfen.

Bevor ich mich jedoch in den immer höher werdenden Schneebergen verliere und in meiner Jeans erfriere, gehe ich lieber in einen Buchladen. Für eine Schneewanderung bin ich definitiv nicht gekleidet.

Als ich den Laden betrete, merke ich schnell, dass ich nicht der einzige bin, der sich hier her geflohen hat. Mehrere Leute stehen in Grüppchen zusammen und tropfen den Boden mit ihren durchnässten Kleidern und Schuhen voll.
Die Buchhändlerin an der Kasse scheint es nicht zu stören und sie lächelt mir freundlich zu. Ich lächele zurück und schließe die Tür hinter mir um die eisige Kälte draußen zu lassen. Im Laden ist es kuschelig warm und die Dame an der Kasse verteilt gerade dampfende Tassen an ihre Kunden.

Um nicht im Weg zu stehen und mich nicht mit den anderen über das Schneechaos draußen unterhalten zu müssen, bahne ich mir einen Weg in den Buchladen.

Zwischen den Regalen mit Büchern ist es glücklicherweise ruhiger und menschenleer.

Langsam tauen meine gefrorenen Finger wieder auf. Ich streife mir meine Lederhandschuhe ab und will sie in die Jackentasche meines Wintermantels stecken, als mich etwas am Arm trifft. “Oh, Entschuldigung!”, murmelt eine weibliche Stimme in mein Ohr. Ich sehe in ihr Gesicht und glaube meinen Sinnen nicht. Vielleicht ist mein Hirn noch halb erfroren von den tosenden Schneemassen da draußen.

Alles hätte ich hier drinnen erwartet, aber nicht sie. Nicht diese Person! Mit einem aufgeschlagenen Buch steht sie da und reibt sich die Stirn.

Sprachlos wende ich mich ihr zu. Als sie endlich zu mir aufblickt, wirkt sie jedoch genauso perplex wie ich. “David?”, fragt sie unsicher. Ich streiche mir das blonde Haar, dass mir in Strähnen über die Augen fällt zurück und blicke sie an.
“Ella.”, entgegne ich tonlos. Der Schmerz in ihren Augen lässt mich zusammenzucken. Es ist nicht fair, ihr gegenüber nach all den Jahren so kalt zu sein.
Bevor ich noch etwas sagen kann, faucht sie: “Eleonor! Bitte!”

Gut, sie wollte nicht mit ihrem Spitznamen angesprochen werden. Schließlich waren wir keine Jugendlichen mehr. Ich nicke ihr zu. Groß verändert hatte sie sich offenbar, trotz all der Jahre, nicht. Ihr Haar war jetzt nur noch schulterlang. Doch ansonsten leuchtete es immer noch blond. Und ihre Augen, diese grauen Augen schienen mich zu verhöhnen. “Was tust du hier?”, fragt sie mich ernst. “Ich denke, dasselbe wie du.” Sie schmunzelt über meine Worten und dieser Anblick lässt mein Innerstes ins Straucheln geraten. Mein Herz stolpert heftig, als ihre Lippen sich zu einem Lächeln verziehen.

Draußen fallen weiterhin dicke Flocken vom Himmel und ich sitze hier mit meinem schlimmsten Albtraum fest. Auf lächerlichen 40 qm² Ladenfläche!

Hoffentlich kann ich schnellstmöglich den Buchladen verlassen. Lieber würde ich mich draußen durch den Schnee kämpfen, als mit ihr hier drin festzusitzen.

Zerstörerin meiner Träume, flüstert mein Verstand.

Frau meiner Träume, flüstert mein Herz.

Auszug aus meinem Projekt DEMP

©Viviana Colucci

Foto von Josh Hild auf Unsplash

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